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* Das System sondert aus, * Ausstellung, Aktionskunst und Installation; November/Dezember/Jänner 2007/08
* "Aktionen in Berlin" vom 21.11.2007 bis 09.02.2008
mit KünstlerInnen {pliant} Mag. art. Ing. Erwin Posarnig im Rahmen von der Kolonie Wedding 30.-02.november/dezember07 und der KOLONIALE 319 25.-4.februar08

- - - - - - - - - - - - * Das System sondert aus, * - - - - - - - - - - - -
by artelier pliant/2007

system sondert aus

Prolog:
Kunst und Kultur hat keine Berührungsängste gegenüber dem Schönen; es handelt sich dabei freilich um eine modernistische, kühle, von der modernen Technik geprägte Ästhetik, die von der Bewegung in Richtung 'mehr Ethik' verschont geblieben zu sein scheint. Es ist dies Kunst für Konsumenten, für Genießer im Reich einer kulinarisch aufbereiteten Formensprache; fast hat es den Anschein, als herrsche eine Arbeitsteilung zwischen jenen, die sich für die Ästhetik und jenen, die sich für die Ethik zuständig halten. Zu letzteren gehört das Team von KAVN, das sich unter anderem der Verbesserung der Lage von Obdachlosen widmet. Dabei wird nichts geschaffen, das dem Auge gefällig ist; einzig das Design der Ortstafeln der UBahnstationen strebt nach Gefälligkeit, nach einer Schönheit, die eminent jugendlich ist,..
Tatsächlich ist in unserer Kultur das Schöne jung, das Alte hässlich; in einer Zeit, die sich vor lauter Empathie gegenüber Behinderten und anderen traditionell benachteiligten Gruppen nicht zu fassen weiß, bildet 'ageism' einen Eckpfeiler des modernen Bewusstseins; da wird stigmatisiert auf Teufel komm raus, auch wenn die grimmige Realität durch zeitgeistige Verkitschung verschleiert wird. Diese Verkitschung zeigt sich in der Rhetorik vom 'Vierten Alter', im Glaubensartikel, das biologische Alter wäre gänzlich unerheblich. Dieses interessante ideologische Kunststück will suggerieren, daß die Alten ja 'eigentlich' jung sind - sie sind wie alle anderen, eine Idee, die sich auch in der Fortreglementierung des Konzepts der 'Rasse' zeigt und in den Versuchen, alle Menschen a priori mit demselben IQ auszustatten. In einer bunten, jugendlichen Welt wird so jegliche Vielfalt, die auf Rangunterschiede und Ungleichheiten hinauslaufen könnte, verleugnet; allerdings nimmt nur ein Teil der Welt von dieser Bewegung Notiz. Wer eine junge Frau in der Diskothek zum Tanzen auffordert und mit dem bereits sprichwörtlichen 'Zurück in die Gruft!' abgewiesen wird, der wird Gelegenheit dafür finden, über die Frage, was es wert ist, 'eigentlich' jung zu sein, etwas gründlicher nachzudenken. Ebenso scheitern die Gleichheitsansprüche der Behinderten an den Entscheidungen der Arbeitgeber, die sexuellen Wünsche der Hässlichen an den Präferenzen der Schönen. Die Menschen, mit denen KAVN arbeitet, sind in ihrer überwiegenden Mehrzahl unleugbar hässlich; die Zeit hat von ihnen ihren Tribut verlangt. Sie sind 'alt', also abgenutzt und in manchen Fällen verwüstet. Der Kontrast zum munteren Treiben der Jungen und Schicken in der Innenstadt könnte nicht ausgeprägter sein. Sozialer Ausschluss wird heute zunehmend zu einer Frage des Ausschlusses des Hässlichen. Wie in der Arbeitswelt eine ungemeine Offenheit gegenüber ehemals stigmatisierten Personengruppen herrscht, solange ihre Mitglieder nur die geforderte Leistung bringen, so hat heute auch auf den Persönlichkeitsmärkten jeder seine Chance, solange er etwas zu bieten hat - Unterhaltung, Prestige, sexuelle Leistung usw. Es ist dies die 'Ausweitung der Kampfzone', wie sie Houellebecque darstellt. Die Frage der Schönheit als Thema und Medium der Kunst gewinnt so bei genauerer Betrachtung eine schillernde Bedeutung. Das Junge' Graz der Murinsel und der Neonleuchten ist eine Welt des Kunstgewerbes, des Designs, der Verpackung und der Vermarktung. Nun kann das Bekenntnis zur Hässlichkeit natürlich nicht so weit gehen, daß man danach strebt, besonders abstoßende Kleidungsstücke oder Häuser zu entwerfen und zu verwirklichen. Um die angestrebte Wirkung zu erreichen, muß auch die Darstellung von Ungleichheit, Gewalt und Traurigkeit ästhetisch fundierten Prinzipien gehorchen. Ganz wie das Erbauliche muß das Engagierte und Sozialkritische fähig sein, uns zu berühren, und das wird nicht gelingen, wenn das künstlerische Produkt zum Beispiel unfreiwillig komisch ist.
Andererseits kann Kunst den Versuch machen, sich von dem ganzen Taumel aus Schick und Schönheit, aus Glanz und Glamour, zu distanzieren. Dies gelingt aufgrund der Wahl geeigneter SuJets - im Fall von KAVN von Lebensräumen - und der Wahl einer adäquaten formalen Behandlung des Themas. Die 'Intervention' führt die Kunstkonsumenten hin zur Unterseite einer Stadt, deren glitzernde Oberfläche im allgemeinen den Blick auf das Hässliche, das Störende, verbirgt, und nicht umsonst. Es hat im allgemeinen Gründe, wenn Teile der Wirklichkeit zur Schau gestellt werden, andere schamhaft verhüllt. Die Verteilung von Almosen im Sozialamt oder bei der Ausspeisung ist im allgemeinen mit keinerlei Öffentlichkeitsarbeit verknüpft. Solche Aktivitäten finden auf der Hinterbühne des städtischen Lebens statt; man ist nur dann (eventuell) stolz auf sie, wenn man in der gebenden Rolle auftritt, also auch als jemand, der als Mitglied der Kulturschickeria seine Vorurteilslosigkeit und seine moralische Sensibilität demonstrieren kann. Die Zuschauer der Inszenierung der sozialen Plastik sind ständig damit befasst, ihrerseits eine Vorstellung zu geben, deren Adressaten andere Zuschauer sind.
H.G Zillian;
Lebensräume (dreijährige soziologische Studie zur permanent temporären Stadtskulptur) 2004, S113 -114
Stigmatisierung:
Jürgen Hohmeier schreibt in seinem Artikel: Stigmatisierung als sozialer Definitionsprozeß
Für Definitions- und Ausgliederungsprozesse beginnt sich der Begriff der Stigmatisierung einzubürgern. Nachdem Erving Goffman ihn bereits vor über zehn Jahren in die Soziologie eingeführt hat, wird seit einigen Jahren versucht, ihn in theoretischer Hinsicht fruchtbar zu machen. Eine eigentliche Stigma-Forschung gibt es bislang aber nur in ersten Ansätzen, auch wenn diese natürlich auf die Fragestellungen und Ergebnisse der Einstellungs- und insbesondere der Vorurteilsforschung aufbauen kann. Für Goffman ist »Stigma« bereits ein relationaler, d. h. soziale Beziehungen darstellender Begriff; er bezeichnet bei ihm aber doch noch eine Eigenschaft der Person, die »zutiefst diskreditierend ist« (Goffman 1967, S. 11). Aufgrund der hier vorgetragenen Überlegungen wird vorgeschlagen, den Begriff nicht - wie bei Goffman - für ein Merkmal selbst, sondern für die negative Definition des Merkmals bzw. dessen Zuschreibung zu verwenden. Wahrscheinlich kann unter gewissen Bedingungen jedes objektive Merkmal zu einem Stigma werden, auch wenn sich sicherlich einige Merkmale dazu eher als andere anbieten. Ein Stigma ist danach der Sonderfall eines sozialen Vorurteils gegenüber bestimmten Personen, durch das diesen negative Eigenschaften zugeschrieben werden. Es beruht auf Typifikationen, d. h. Verallgemeinerungen von teils selbst gewonnenen, teils übernommenen Erfahrungen, die nicht mehr überprüft werden (vgl. den Beitrag von U. Gerke in diesem Band). Stigmatisierung heißt dann ein verbales oder non-verbales Verhalten, das aufgrund eines zueigen gemachten Stigmas jemandem entgegengebracht wird. Stigmatisierte sind Personen oder Gruppen, denen ein bestimmtes - meist negatives - Merkmal oder mehrere Merkmale zugeschrieben werden.
Mit dieser Definition von Stigma und Stigmatisierung wird nicht ausgesagt, daß Eigenschaften oder Verhaltensweisen der Stigmatisierten selbst keine Rolle zu spielen brauchten. Es ist vielmehr häufig der Fall, daß Stigmatisierungen bei - sichtbaren oder unsichtbaren - Merkmalen von Personen anknüpfen. Es handelt sich dabei typischerweise um Eigenschaften, die von denen einer Majorität abweichen, wie etwa körperliche Besonderheiten (z. B. eine Behinderung), wie eine Gruppenzugehörigkeit (z. B. die Mitgliedschaft in einer Sekte) oder wie ein Verhalten (z. B. der Verstoß gegen eine geltende Norm). Für nichtsichtbare stigmatisierte Eigenschaften bestehen dabei in der Regel Verdachtsmerkmale, die die Identifikation der Person als Stigmatisierte auslösen. Zu diesen Verdachtsmerkmalen gehören der Kontakt mit Kontrollinstanzen, z. B. psychiatrischen Kliniken, oder der Aufenthalt an bestimmten Plätzen (vgl. Feest 1971). Für Stigmata ist nun charakteristisch, daß einmal das vorhandene Merkmal in bestimmter negativer Weise definiert wird und daß zum anderen über das Merkmal hinaus dem Merkmalsträger weitere ebenfalls negative Eigenschaften zugeschrieben werden, die mit dem tatsächlich gegebenen Merkmal objektiv nichts zu tun haben. Die Wahrnehmung des Merkmales ist dann mit Vermutungen über andere vorwiegend unvorteilhafte Eigenschaften der Person gekoppelt. Es findet eine Übertragung von einem Merkmal auf die gesamte Person, von den durch das Merkmal betroffenen Rollen auf andere Rollen der Person, den tatsächlich eingenommenen wie den potentiell einzunehmenden, statt. Diese Zuschreibung weiterer Eigenschaften kennzeichnen Stigmatisierungen als Generalisierungen, die sich auf die Gesamtperson in allen ihren sozialen Bezügen erstrecken. Das Stigma wird zu einem »master status«, der wie keine andere Tatsache die Stellung einer Person in der Gesellschaft sowie den Umgang anderer Menschen mit ihr bestimmt (vgl. Schur 1971, S. 52; Lautmann/Schönhals-Abrahamsohn/Schönhals 1972, S. 83 ff.).
Quelle: http://bidok.uibk.ac.at/library/hohmeier-stigmatisierung.html#id2797983
Projekt:
In dem Projekt 'Das System sondert aus' wird die Frage nach den Prozessen von bewussten staatlichen und politischen Eingriffen auf die Lebenssituation des Individuums gestellt, die bei gesellschaftlichen Umbrüchen, Umordnungen und Neueinordnungen eintreten und sich als stigmatisierende Zeichen wiederfinden. Was entsteht durch diese Entwicklung?, Was bleibt verborgen oder wird verdrängt?. Werden neue Zeichen der Ausgrenzung gesetzt und wie werden diese in der persönlichen und öffentlichen Wahrnehmung sichtbar und wahrgenommen. (die Anbringung von Zeichen und Signets am Körper und an der Kleidung von 'nichtnormativen' Personen hat eine lange geschichtliche Tradition.)
'Das System sondert aus' reflektiert auch die mangelnde Fantasie der Politik und ihr Scheitern zur Eindämmung der schleichenden Stigmatisierung. Beispiele für die Herrschaftsfunktion von Stigmatisierungen können mit der Diskriminierung der Schwarzen in den USA und der Verfolgung und Vernichtung von Juden im Dritten Reich gegeben werden. Das generieren einer positiveren allgemeinen gesellschaftlicher Einstellungen zum anders sein wird systematisch unterlaufen.
Neue negative Merkmale beschreibe einen neue Ausgrenzung aus sozialen Systemen (internationale Trends, Gedanken zur Kennzeichnung von zB.: von Rauchern mit Aufnähern) als lassen ahnen in welche Richtung die Weichen gestellt werden könnten.
Aufnäher, tatoos etc. für Drogenabhängige, Arbeitslose Sozialhilfeempfänger Homosexuelle etc. für Andersnormige Menschen könnten in suptiler Weise wiederauferstehen.
Diese Fragen werden in dem Projekt gestellt und mit den Mitteln der interventionistischen, eingreifenden Kunst zusammen mit den sogenannten Unerwünschten, Ausgegrenzten den sozial Randständigen untersucht.
Es werden die neuen Zeichen zu der Fragestellung zusammen mit den sogenannten Gezeichneten und Künstlerinnen entwickelt.
Es werde die unerwünschte Signets, Logos als negativ bewertete Brandmale der Zugehörigkeit der Aussonderung in vielfältigster Weise sichtbar gemacht werden.